Wo sind die guten Geschichten? – Wie Journalisten auswählen und was das für Familienunternehmer heißt

Heft 19 der Schriftenreihe des Instituts

Es sind Geschichten, die den Menschen im Gedächtnis bleiben. Wir sind geschichtenfixiert, und der zeitgenössische Journalismus appelliert immer stärker an dieses Bedürfnis. Das macht die Beziehungen zwischen den Familienunternehmen und den Medien nicht einfacher: auch die Qualitätspresse betrachtet die Unternehmen seit einigen Jahren unter einem neuen Blickwinkel. Aus diesem Grund ist eine anschauliche Anleitung für den Umgang mit- und zum besseren Verständnis füreinander am Platz.


Leseprobe

Die Familienunternehmen wollen wahrgenommen werden. Das ist deutlich. Eigentlich. Wenn sich dann doch einmal ein Journalist auf den Weg macht, um die Wahrheit über ein Familienunternehmen herauszufinden, stößt er allerdings schnell an Grenzen. Der Umsatz wird vage genannt, der Gewinn aber geht die Öffentlichkeit nichts an, genauso wenig wie die Gründe, warum der Sohn des legendären Gründers immer noch nicht das alleinige Sagen in der Firma hat.

Stattdessen werden Journalisten mit Broschüren bedient, die das Jubiläum der Firma feiern oder mit Statements abgespeist, in denen die Wörter Nachhaltigkeit, regionale Verwurzelung und ehrbarer Kaufmann nicht fehlen dürfen. Das ist alles schön und gut, nur leider nicht spannend. Die Informationen, die Unternehmer mit Journalisten gerne freiwillig teilen, würden sie selbst nicht lesen wollen, wenn diese andere Firmen beträfen.

Was dann? Wie wäre es mit einer guten Geschichte? Der Journalismus hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Die Toleranz für langweilige Stoffe sinkt. Selbst seriöse Zeitungen haben Rechtfertigungsdruck, warum sie schnöde Quartalsberichte von Dax-Unternehmen referieren, ohne dass besondere Ereignisse zu vermerken sind. Einst eher trocken-seriöse Zeitungen wie das Handelsblatt verbannen heute die kalten Nachrichten in die hinteren Sektionen des Blatts, um weiter vorne Geschichten zu erzählen – vom Automanager, der seine Marke ruiniert, vom Versicherungskonzern und seinen Sex-Reisen, vom grünen Wirtschaftswunder. Das sieht auf den ersten Blick nicht so seriös aus wie die Aufmacher, die früher die überregionalen Zeitungen schmückten.

Das Internet hat die Welt der Medien verwandelt. Die Leute nehmen Informationen anders auf als früher. Die nackten Nachrichten stehen schon viele Stunden bei Internetdiensten, bevor die Zeitungen sie zum Leser bringen können. Mit nackten Nachrichten hebt sich heute keine Zeitung mehr von der anderen ab. In Zeiten, in denen über Twitter als erstes die Nachricht verbreitet wird, dass der Terrorist Osama Bin Laden aufgespürt und erschossen worden ist, haben es Industrien ziemlich schwer, die darauf konzentriert sind, Wörter auf Papier zu drucken und dieses Papier dann zu verteilen. Das dauert nämlich ziemlich lange. 

Damit wird die Zeitung zu einem Platz für etwas weniger zeitsensible Artikel: Das können Analysen, Kommentare, Porträts und zunehmend Geschichten aus der Wirtschaftswelt sein. Das Bedrohliche und zugleich Bestechende an guten Storys ist, dass sie haften bleiben. Sie vereinfachen komplizierte Verhältnisse, sie helfen uns die Welt zu ordnen. Vor allem aber haben sie eine Moral. Es gibt darin oft den Guten und den Bösen, den Kasper und den Teufel. Dass nahezu sämtliche Hollywood-Spielfilme nach diesem Muster gestrickt sind, ist eine Trivialität. Aber dass bedeutsame wirtschaftliche Ereignisse in den Medien so wiedergegeben werden, als ob sie eine dramatische Erzählung seien, ist dann doch womöglich überraschend.

Im Frühjahr 2008 hatte die Unternehmerin Maria-Elisabeth Schaeffler die Idee für den Coup des Jahres. Die „Königin der Kugellager", wie die Wirtschaftspresse die elegante Wienerin nannte, war auf die Idee verfallen, mit ihrem Unternehmen, einer mittelständisch geprägten Firma aus dem fränkischen Herzogenaurach, den Reifenhersteller Continental aus Hannover zu kaufen: ein Dax-Unternehmen, dreimal größer als Schaeffler.

Ob es die Waghalsigkeit des Deals, die Ausstrahlung der großen Dame oder der bodenständige Ruf der fränkischen Firma waren: im Rückblick lässt sich nicht mehr exakt ausmachen, welche Umstände dafür verantwortlich waren, dass der Coup der Schaefflers in der Öffentlichkeit mit Sympathie aufgenommen wurde. Übernahmen, erst recht wenn sie wie bei den Schaefflers vom Top-Management der angegriffenen Firma als feindlich empfunden werden, sind in Deutschland eigentlich nicht besonders gut gelitten. Hierzulande melden sich immer Kräfte, wenn bestehende Ordnungen und Hierarchien infrage gestellt werden. 

Aber der Angriff der Schaefflers hatte seinen Charme: Frau trickst Mann aus, David besiegt Goliath, Auto (Kugellager) passt zu Auto (Reifenhersteller). Und alles bleibt in heimischen Landen. Conti, so sieht es aus, hatte schon verloren, bevor die Übernahmeschlacht eröffnet wurde. Es wurde die Geschichte einer überraschend mutigen Witwe erzählt, die – sich von ihrem Erbe emanzipierend – aufmachte, ihr Unternehmen in eine andere Liga zu hieven. Sie wollte die Gunst der Stunde nutzen. Das war eine gute Geschichte und es ist im Nachhinein nicht mehr genau herauszufinden, inwieweit sie Einfluss hatte auf die über sie verbreitete Geschichte.